“Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau”
(nach Gertrude Stein)
Wir haben Frau Dr. Maß im Interview zu ihrem persönlichen Werdegang befragt. Dabei ging es unter anderem auch darum, wie Ihr persönliches Umfeld auf ihre Veränderung reagiert hat und welche medizinische Betreuung sie in Anspruch genommen hat.
Wann war für Sie klar, dass Sie nicht länger im Körper eines Mannes leben möchten?
Ich war nicht mehr die Jüngste, genauer 58, als ich merkte, dass ich eine Frau bin. Ich weiß heute sogar noch den Tag, als ich quasi von links auf rechts gedreht merkte, dass ich plötzlich ganz anders ticke. Bis zu diesem Moment habe ich versucht, mich immer mit Leistung unter Beweis zu stellen, z. B. beruflich, mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Auch konfrontativen Situationen ging ich nicht aus dem Weg. Das wurde am 18. Mai 2015 plötzlich, am helllichten Tag, anders. Auch an den Ort, vor einem Lokal in Neuenheim, erinnere ich noch. Ich wurde umgänglicher, sanfter, suchte eher den Ausgleich. Und das war und das ist gut so! Die Kollegen bestätigen mir das auch. Mein Denken war plötzlich das einer Frau.
Dabei war mein Kleidungsstil schon seit mehr als 15 Jahren ein selbstbewusster, modischer “Grenzgang”, nur wollte ich es mir nicht eingestehen, dass ich eine Frau bin. Und das selbst als mich meine Mutter mit Blick auf meine Kleidung einmal fragte, ob ich lieber Frau sei. Ende April 2015 gab es in der ARD dann einen Film: “Mein Sohn Helen”. Wahrscheinlich fing es dann in meinem Unterbewusstsein an zu arbeiten. Daher übrigens mein erster Vorname.
Wie geht Ihre Familie mit der Veränderung um?
Mein Vater, Jahrgang 1911, ist bereits 1992 verstorben. Meine Mutter, Jahrgang 1934, für die ich plötzlich, ab 2016, im Rahmen einer Vorsorgevollmacht nahezu täglich präsent sein musste, haderte damit; aber für Mütter ist das vielleicht “normal”. Sechs Wochen vor ihrem Tod am 31. Juli 2017 sprach sie mich dann aber doch mit Helen an. Ein einziges Mal, immerhin, aber sie hat es wohl als die “bessere Lösung” für mich akzeptiert. Ein Bruder meinte, es sei eine “Phase”, und das verginge auch wieder. Für einen weiteren Bruder aus der ersten Ehe meines Vaters, sowie auch dessen Familie, war ich plötzlich und immer Helen, auch wenn er so Kleinigkeiten wie die lackierten Nägel – im Gegensatz zu seiner Frau – nicht bemerkte. Und mit ihm habe ich seitdem das beste Verhältnis, das vor 30 Jahren eher rivalisierend war.
Gab es viel Gegenwind von außen?
Da ich ein gesundes Selbstbewusstsein habe, meine Mutter meinte immer, ich hätte ein überschießendes Selbstbewusstsein, hat mich der Gegenwind nicht sonderlich interessiert. Natürlich wusste ich, dass nicht alle meinen Weg positiv sehen. Das ist mir aber nicht das Wichtigste, denn es geht um mich und meine Gesundheit.
Wie sah die Reaktion im Arbeitsumfeld aus? Hatten Sie auch kurz den Gedanken, sich nicht öffentlich zu äußern oder ist die Veränderung überwiegend positiv aufgenommen worden?
Im Arbeitsumfeld hatte ich durchweg eine tolle Unterstützung, ich habe mich meinen direkten Vorgesetzten ziemlich bald geoutet. In meinem Sommerurlaub 2015 beschloss ich dann, als Frau an den Arbeitsplatz zurückzukehren, und damit begann der sogenannte Alltagstest, der für mich aber kein Test war. Ich erfuhr grandiose Hilfe durch meine Chefin, die mir Vieles aus ihrem Urlaub heraus, in welchem ich sie angeschrieben hatte, organisierte. Ab dem 1. Oktober 2015: Normalität. Glücklich. Ich selbst. Und das Größte kam dann 2016: Der Schriftleiter, ein inzwischen pensionierter Abteilungsleiter eines Bayerischen Ministeriums, räumte mir für einen Berichtsaufsatz die Seite 1 des ersten Heftes des Jahrganges 2016 der Neuen Zeitschrift für Sozialrecht ein! Das war schon etwas Besonderes.
Ich habe mir meine Situation aber immer wieder auch durchdacht, beispielsweise den personenstandrechtlichen Antrag an das Amtsgericht selbst verfasst. Die Begründung des Antrages war für mich schließlich noch einmal die (letzte) Selbstvergewisserung für meinen Weg. Ja, die Veränderung wurde überwiegend positiv aufgenommen.
Werden Sie ärztlich betreut?
Mit der Wahl meiner Ärzte hatte ich Glück: meine Hausärztin hat die allgemeinmedizinische Betreuung und insoweit die Zügel ein wenig straffer gezogen. Mein Psychotherapeut, dem ich allerdings gleich bei unserem ersten Treffen erklärte, dass er mich in der Transition begleiten solle, ist für mich immer erreichbar, hat mir ein Indikationsschreiben für die Hormonbehandlung ab November 2016 verfasst, das von meiner Endokrinologin mit einer 1* bewertet wurde. Auf Augenhöhe suche ich regelmäßig seinen Rat, auch die nächsten zwei Jahre sicherlich noch.
Mein Urologe hat mit der Behandlung von MzF-Transsexuellen große Erfahrung, wusste, dass Professor Michel in Mannheim an dem UMM ein entsprechendes Zentrum aufbaut, vermittelte mir 2018 die Kontakte zu meinem Operateur und zu Dr. Liedl aus München-Bogenhausen, meinen “jungen Göttern”. Die “jungen Götter”, das muss ich erklären: Ich verlangte ein paar Tage nach der OP im November 2018 von einer Schwester einmal einen “stichfesten Joghurt”, und sie wunderte sich sehr, weil sie glaubte, ich verlangte einen “stichfesten jungen Gott”, woran in meiner Situation nun wahrlich nicht zu denken war. Mein Urologe ist für die postoperative Betreuung “zuständig”; und er wird sich auch weiterhin um die verbliebene Prostata kümmern. Auch er ist für mich immer erreichbar. Die Endokrinologin habe ich schon erwähnt. Und dann werde ich mir natürlich auch eine Gynäkologin suchen.
Mit welchen Hürden muss man im Gesundheitssystem rechnen?
Eine Geschlechtsangleichung ist bei Vorliegen der Indikationslage nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes eine Leistung der (gesetzlichen) Krankenversicherung. Ich selbst bin privat versichert, aber für meine Krankenkasse sind die angleichenden Maßnahmen von der Hormonbehandlung über die geschlechtsangleichende OP bis hin zur stimmbandverkürzenden OP und den dermatologischen Leistungen [wie Laserbehandlung und Elektroepilation] ebenfalls keine Frage. Derzeit sind zwei Gutachten Voraussetzung für die große wie auch für die kleine, also die nur personenstandsrechtliche, Lösung; das ist umstritten.
Vorstöße beim Bundesverfassungsgericht gegen die “Zwangsbegutachtung” waren erfolglos. Ich halte zumindest ein Gutachten, das aber kein Gefälligkeitsgutachten sein darf, zumindest bei der großen Lösung für richtig. Die Geschlechtsangleichung ist kein Osterspaziergang. Die Schmerzen, die ich auf mich genommen habe, sind erheblich, sowohl die der großen OP als auch beispielsweise die der Elektroepilation. Das alles setzt eine stabile Persönlichkeit voraus. Und ich denke auch, dass die Gutachten und das Indikationsschreiben für die große OP von dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen genau geprüft werden.
Für die Hormonbehandlung fahre ich nach Frankfurt zu einer Endokrinologin an dem dortigen Universitätsklinikum; die Hürden am hiesigen Klinikum waren zu hoch. Hier wurden die Gutachten verlangt, die ich ja ohnedies für das Personenstandsverfahren bräuchte. Das war schon zum Verzweifeln!
Was raten Sie Menschen, die in der gleichen Situation sind wie Sie?
Sie sollen selbstbewusst ihren Weg gehen, aber nur, wenn sie sich sicher sind. Den Eltern rate ich, ihre Kinder in jeder Hinsicht zu unterstützen. Es bleiben ihre Kinder, egal ob Sohn oder Tochter, oder umgekehrt.
Und wenn sie Fragen haben, dürfen Sie sich an info@urologie-fuer-alle.de wenden. Sie stellen den Kontakt zu mir her.
Vielen Dank für das offene Gespräch, Frau Dr. Maaß.
Weitere Informationen zu diesem Thema:
Bitte sprechen Sie mit mit einer Urologin / einem Urologen in einer Praxis oder Klinik in Ihrer Nähe. Sie werden dann Endokrinologen, Psychologen und andere Fachärzte hinzuziehen, denn jeder Fall ist sehr individuell.
Links zu diesem Thema:
Wikipedia
Trans-Infos.de
Süddeutsche
FAZ
Hormonmädchen
Trans-Ident e.V. – Selbsthilfegruppe
Bundeszentrale für politische Bildung
Trans-Kinder-Netz e.V.