Friedrich W. Zimmermann, ehemaliger Prostatakrebs-Patient und Journalist, im Interview:
In welchem Alter wurde bei ihnen Prostatakrebs diagnostiziert und wie lief die Behandlung und Therapie ab?
Zehn Jahre lang ging ich zum PSA-Test. Der Finger des Hausarztes für die rektale Untersuchung (DRU) allein reichte mir nicht. Als mir mein Doktor eines Tages den Laborbericht vorlas, mit 5,4 Einheiten auf der Skala, war ich schockiert. Ich war damals 67 Jahre alt und wusste, was das bedeutet. Das konnte nur ein Laborfehler sein, denn ich fühlte mich gesund, wie in den Jahren zuvor. – Jetzt seien die Urologen dran, meinte mein Hausarzt.
Das Labor des Urologen bestätigte den erhöhten Wert. Der Arzt klärte mich auf, dass der PSA-Wert kein Indikator für ein Prostatakarzinom sei. Nur eine Biopsie könne den erhöhten Wert erklären. Ich mache es kurz: Alle zwölf Stanzen bei der Biopsie waren positiv. Die Histologie bescheinigte einen aggressiven Tumor. Nach ausdauernder Recherche und Beratung auf Augenhöhe mit dem Urologen entschied ich mich zur OP.
Der Entscheidungsprozess war ein schmerzhafter. Immer wieder war ich den Verlockungen gut meinender Freunde ausgesetzt, nach Alternativen abseits der Schulmedizin suchend. Unglücklicherweise starb gerade ein Kollege in dieser Findungsphase an Prostatakrebs. Er hatte sich einem Scharlatan anvertraut, der mit galvanischem Strom eine Behandlung des Tumors versuchte. Ich wollte nicht sterben, sondern leben. Der Termin für die Operation wurde für die Zeit nach dem Karneval in Köln angesetzt.
Warum haben Sie ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht und wer ist ihre Zielgruppe?
Nach meiner Diagnose fand ich viele gute – gut gemeinte – Ratschläge, Ratgeber, ärztliche Expertise. Statistiken über Risiken und Nebenwirkungen. Doch fand ich keine schriftlichen Berichte von Betroffenen. Ich wollte wissen, wie sich der Mann fühlt. Vorher und nachher.
Nach der OP und der Reha, als ich alles überstanden hatte, fragte mich sogar mein Therapeut, ob ich ihm meine Gefühle und Erfahrungen beschreiben könnte. Als Sexualtherapeut war er natürlich am Zusammenleben mit meiner Partnerin interessiert. Von meinen ungeschönten Schilderungen war er überrascht. Er hatte ja seine Prostata noch. Er war so neugierig, dass er mich bat, meine Geschichte, meine unterschiedlichen Erlebnisse aufzuschreiben. Er wusste, dass ich als Journalist gelernt hatte, auch komplizierte Zusammenhänge zu erklären. Andererseits durfte ich hier – endlich – auch mal über meine Gefühle und Emotionen sprechen und schreiben. Diese ersten Seiten für den Therapeuten waren der Auslöser für meine Liebesgeschichte zwischen den Buchdeckeln.
Zur Zielgruppe: Frauen! Die Frauen, die einen Mann mit Verdacht auf Prostatakrebs zu Hause haben. Nicht nur Verdacht, sondern nach der Diagnose Prostatakarzinom, mit ihm auch weiterleben wollen. Wie geht es weiter nach der Diagnose? Wie geht es weiter nach der Therapie. Männer dagegen, so meine Erfahrung, fassen das Buch mit spitzen Fingern an. Die meisten interessiert das Thema Liebe und Lust, ja. Das Thema Prostata eher nicht.
Wie kamen Sie auf die Idee, noch einen Comic darüber
zu veröffentlichen?
Lebensfreude und Prostataprobleme scheinen sich zu widersprechen. Bei Autorenlesungen merke ich, wie ernst das Thema diskutiert wird. Verdrießlich und oft mit negativem Unterton. Mit dem Comic will ich die Verschämtheit überwinden. Ich erinnerte mich an die Sex-Abenteuer der frühen Comic-Ikone BARBARELLA im Weltall. Meine Partnerin Paula in dem Buch ist eine lebenslustige Frau, sie liebt ihren Partner im Heute hier auf Erden. Zeichnerin und Autor haben eindrucksvoll Schlüsselszenen aus der Liebesgeschichte des Buches illustriert. Die Stimmung ist heiter, nicht düster. Auch nicht besonders komisch, aber doch mit einem Augenzwinkern. Mit einem Happy End.
Was möchten Sie erreichen?
Der Comic ist als Teaser für das Buch gedacht. In meinen Vorträgen und Lesungen möchte ich erreichen, dass mehr Männer zur Vorsorge gehen, also mit ihrem Hausarzt oder Urologen über Früherkennung reden. Und, dass Partnerinnen ihre Männer ermutigen, sich mit dem Thema Potenz und Kontinenz befassen. An meinem Beispiel: Nur Mut! Das Leben kann auch ohne Prostata schön sein – für Mann und Frau.
Machen Sie bundesweit Lesungen, zum Beispiel auf Patiententagen?
Ja, ich werde von Selbsthilfegruppen in der Republik eingeladen. Auch bei Fortbildungsveranstaltungen diverser medizinischer Berufe halte ich Vorträge und diskutiere mit jungen Medizinern und Medizinerinnen über meine Erfahrungen.
Wie geht es Ihnen heute?
Heute geht es mir gut. Meine Urologin ist mit mir und den Laborwerten zufrieden. Nach der Krebsdiagnose lebe ich ein normales Leben. Vielleicht ist normal nicht der richtige Ausdruck. Nach der Krebsbehandlung empfinde ich die Jahre als geschenkte Jahre. Zumal mich keine Krankheiten (sogenannte Komorbiditäten) einschränken. Inzwischen, nach 12 Jahren, als 79-Jähriger kenne ich meine Grenzen, die nichts oder fast nichts mit meiner Prostatektomie zu tun haben. Ich lebe heute bewusster als noch vor der Diagnose.
Was meinen Sie, wie man Männer sensibilisieren kann, zur Vorsorge zu gehen?
Mit dieser Frage beschäftige ich mich seit Jahren – auch ich suche nach einer Antwort. Viele Aktivisten in diesem Umfeld forschen immer noch nach einem überzeugenden Trick. Aber trotz aufwendiger Aufklärungskampagnen bleibt die Zahl der Krebstoten seit Jahren konstant. Ich habe die statistische Zahl mal auf den Tag heruntergebrochen. (2015 RKI) – 13.900 Sterbefälle im Jahr; täglich sterben 38 Männer an Prostatakrebs.
Mit meinem Buch könnte ich Männer sensibilisieren. Doch das bleibt Wunschdenken, wie schon gesagt: Männer sind weitgehend beratungsresistent.
Männer brauchen Vorbilder (auch im Alter). Positive Helden, denen sie nacheifern können. Männer (55+) als Vorsorgemuffel oder Feiglinge zu beschimpfen, perlt an ihnen ab. Das war bei mir nicht anders. Erst als ich mit 57 Jahren im Krankenhaus auf der Bettkante meines Freundes und Mentors saß, wurde mir der Ernst der Lage bewusst. Der Eingriff sei gut verlaufen, sagt John. Der Krebs hatte noch nicht gestreut. Der Chirurg sei sehr zufrieden. Und wenn er hier raus sei, dann werde er mich bei seinem Urologen anmelden. Zum ersten Mal hörte ich dieses Kürzel PSA. Als kluger Kollege und älterer Freund überzeugte er mich vom Sinn der Vorsorge. Er war mein Vorbild.
Vorbilder sind wichtig
In Berlin gäbe es so ein Vorbild. Vollmundig trat Frank Zander, der Sänger und Entertainer, 2018 in den Boulevardmedien auf. Er sprach von seiner Prostatektomie und Vorbildrolle: „Männer geht zur Vorsorgeuntersuchung!“ Leider ist es bei dem einmaligen Aufruf geblieben. Die vielen Klicks auf seiner Facebook-Seite taten ihm gut. Ich las in den Kommentaren, dass sich erstaunlich viele Menschen für sein Schicksal als Prostatapatient interessierten. Sie gratulierten ihm zu seinem Schritt, mit diesem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen.
Herzlichen Dank für das Interview, Herr Zimmermann, und für Ihre Offenheit im Umgang mit Ihrer persönlichen Krankheitsgeschichte.
Den Trailer zum Buch finden Sie hier. Weitere Informationen zu seiner Person gibt es auf seiner Website.